Warmer Empfang für den Spion aus der Kälte

 

Saarbrücker Zeitung, 23.01.1995

Beim Ophüls-Filmfestival fand der ehemalige DDR-Agentenchef ein neues Forum

Von unserem Redaktionsmitglied
DIETMAR KLOSTERMANN


Einen warmen Empfang bereitete das Saarbrücker Max-Ophüls-Festival dem einstigen Spion, der aus der Kälte kam. Albrecht Stuby, Chef des Filmhauses an der Mainzer Straße, hoffte offenbar auf bahnbrechende Handlungshinweise, als er Markus Wolf nach der Zukunft des Sozialismus befragte. Aber die Antwort, die der einstige Chef der Stasi-Auslandsspionage gab, war rückwärtsgewandt. "Mein Bruder und ich glaubten an die Perspektive des Sozialismus in der DDR. Das System selbst stand nicht in Frage, wir glaubten an dessen Veränderbarkeit." Die Einladung nach Saarbrücken tat dem einst gefürchtetsten Gegner der bundesdeutschen Nachrichtendienste wohl, wie er selbst bekannte. Nach der Verurteilung zu sechs Jahren Haft durch das Düsseldorfer Oberlandesgericht (OLG) Ende 1993 war es ruhiger um diese schillernde Figur der Zeitgeschichte geworden, zumal sich die Richter in Karlsruhe mit der endgültigen Bewertung von Wolfs Schuld Zeit lassen. Gegenüber unserer Zeitung sprach Wolf von einem Gefühl der Isolierung. Was wunder, ist doch sein "Aktionsradius" auf Berlin beschränkt, muß er sich dort jeden Dienstag bei der Polizei melden. Für die Reise an die Saar anläßlich des Festival-Rückblicks auf die Filme seines 1982 verstorbenen Bruders Konrad bedurfte es einer Genehmigung des OLG.

Marktwirtschaft als Lernstoff

Wolf, der mit Gattin Andrea angereist war, nahm sich Zeit, als er die gut ein Dutzend zählende Schar der Käufer seines Buches "Die Troika" mit Autogrammen und Widmungen beglückte. Freundlich und geduldig beantwortet er alle Fragen, doch trotz seiner erstaunlichen Unverbrauchtheit strebt PDS-Mitglied Wolf nicht nach politischer Aktivität: "Ab einem bestimmten Alter sollte man keine solchen Ambitionen mehr haben." Weder mit Gelassenheit noch mit Bangen sieht Wolf, den seine Freunde "Mischa" nennen, dem höchstrichterlichen Urteil aus Karlsruhe entgegen. "Natürlich läßt es einen nicht gleichgültig, ob ein Urteil mit sechs Jahren Haft rechtskräftig wird oder nicht. Aber ich bin ja 1991 nach Deutschland zurückgekommen in der Erwartung, daß die Vernunft sich durchsetzt." Stockend und zäh fallen die Worte plötzlich: Seine Gedanken an die Zukunft auszusprechen, bereitet Wolf sichtlich Mühe. Und als die Frage nach Treffen und Kontakten zu ehemaligen Stasi-Kollegen kommt, unterbricht er abrupt den "politischen" Teil des Gesprächs. Aus diesem Anlaß sei er schließlich nicht nach Saarbrücken gekommen. Dennoch scheint auch die literarische Zukunft des Spionage-Spezialisten in den Sternen zu stehen. Er habe gerade ein Manuskript angefertigt, in dem es um die Aufarbeitung des Kalten Kriegs und auch um Wolfs DDR-Zeit gehe. Weitaus günstiger wären jedoch die Erfolgsaussichten für einen knallharten Spionage-Filmthriller, einen neuen "Spion, der aus der Kälte kam" - zumal Wolf, wie er selbst bekennt, nun lernen muß, "marktwirtschaftlich zu denken". Ein solches Projekt müsse an ihn herangetragen werden. Falls sich ein deutscher Filmemacher heranwagt, kann er bestimmt auf eines hoffen: einen warmen Empfang beim Ophüls-Festival.